Publikation

'Hofmannsthal - der jüngste deutsche Klassiker'

Autor: Walter Naumann
Mit einem Nachwort von Georg Hensel
Veröffentlichung: 1967
GHL-Nr.: 22

Zum Inhalt

  • Hofmannsthal - der jüngste deutsche Klassiker (Vortrag)
  • Hofmannsthals Verhältnis zur Tradition (Aufsatz)
  • Die Form des Dramas bei Grillparzer und Hofmannsthal (Aufsatz)

Leseprobe

" (...) Es ist darum kennzeichnend für die deutsche Literatur, daß wir von einem Klassiker zwar irgendwie ein Bekenntnis zu einem für ihn leitenden Menschenbild und eine Definition dieses Bildes erwarten, daß dieses Bild aber weniger als in anderen Ländern durch die Tradition der schon bestehenden Literatur bestimmt, sondern stärker dem Wandel der Ideen und Bestrebungen der Generationen unterworfen ist.

In diesem Sinne stellen wir jetzt an das Werk Hofmannsthals die Frage nach dem darin gebotenen Menschenbild. Es steht in den Dichtungen Hofmannsthals, die wir als klassisch bezeichnen, überall in der Mitte eine Wahl, eine Entscheidung. Der ganze Inhalt eines Lebens wird in dieser Wahl auf die Probe gestellt. Als Alternative treten sich gegenüber: auf der einen Seite die Herrlichkeiten und Verlockungen des Lebens, sowohl des äußeren begehrlichen, etwa der Liebe, wie auch des inneren Lebens des Geistes und der Träume, jedenfalls ein Sicht-selbst-Genügen, ein Sich-genügen-Lassen an dem vom Dasein gebotenen. Auf der anderen Seite stellt sich zur Wahl ein höheres Bild des Ich, das dem Wählenden geboten wird durch Bindungen, seien es Bindungen durch die Anerkennung einer eigenen Verschuldung, oder durch die Zugehörigkeit zu einem anderen Menschen, die dem ganzen Wesen des Wählenden entspricht und ihm geradezu bestimmt ist, oder schließlich durch eine Verpflichtung anderen, einer Gemeinschaft gegenüber, die in der gesamten Lebenssituation des Einzelnen beschlossen liegt. Derjenige, der sich zu diesen Bindungen entscheidet, erfüllt den vorbestimmten Sinn seines Lebens. Wir sehen wie Hofmannsthal hier sein Schema des Verhaltens, das in der deutschen Klassik von Bedeutung war, den Konflikt und die Wahl zwischen Pflicht und Neigung, mit einem neuen Inhalt und einem neuen Pathos belebt. (...) " - Aus: Walter Naumann, Hofmannsthal - der jüngste deutsche Klassiker
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